Das Leben ist zu kurz, um lang zu denken. Und vor allem, um Zeit mit Dingen zu verbringen, die einen nicht wirklich glücklich machen. Aus diesen und ein paar anderen Gründen wird es jetzt ernst. Ich gehe zur Eisenbahn.
Zwar bin ich seit April schon Servicemitarbeiter auf dem SJ EuroNight Nachzug nach Stockholm, doch reizt mich als Eisenbahn-Nerd natürlich auch der echte Betrieb. So brauchte es keinerlei Überzeugungsarbeit, mir die Schulung zum Zugschaffner (Zs) schmackhaft zu machen.
Die etwa zweiwöchige Schulung bei meinem Arbeitgeber umfasst allerlei bahnbetriebliche Inhalte, die an vielen Stellen über das hinausgehen, was wir in der Regel für einen funktionierenden und sicheren Betrieb wissen müssen. Da bei der Bahn aber nur äußerst selten alles klappt, und unsere Zugführerinnen und Zugführer mit gut ausgebildeten Zugschaffnerinnen und Zugschaffnern als rechte Hand besser arbeiten können, schaden tiefgreifendere Kenntnisse sicherlich niemandem und tragen auch zu einem sicheren und ordentlichen Betrieb bei.

Motivation? Ist da.
Ich möchte gar nicht weiter über meine Beweggründe, zur Bahn zu gehen, berichten. Vielleicht mache ich das an anderer Stelle nochmal. Viel mehr möchte ich einen kleinen Einblick in das geben, was wir im Rahmen unserer Schulung, und auch außerhalb des offiziellen Rahmenprogramms, so gelernt und erlebt haben.
Und zwar war am gestrigen 16. Mai der erste Betriebstag der BTE AutoReiseZug-Saison von Hamburg nach Lörrach. Entsprechend war die Aufregung in der Firma groß, und als man uns als Zs-Kurs nach dem Motivationslevel fragte, sich schon mal den Betrieb rund um den Zug, den wir künftig begleiten werden, anzusehen, bedurfte es auch hier keiner großen Überzeugungsarbeit.
Meine Kollegin Sarah wartete mitsamt dem Verladepersonal bereits am Bahnsteig in Altona und ich war auf dem Weg nach Langenfelde in die Abstellung.


Das Langenfelder Verfahren …
Mit Warnweste an und Rucksack in der Hand stiefelte ich im strömenden Regen, also bei Hamburger Standard-Wetter, zum Zug – dieses Jahr erstmals komplett in blau. (Also der Zug, nicht ich.)
Am Zug liefen die letzten Vorbereitungen: der Zugführer schrieb den Bremszettel, die Service-Kolleginnen und -kollegen bereiteten das Innere der Wagen vor. Die beiden Lokführer harrten der Dinge und hatten eine gute Zeit auf dem Führerstand, während hinterm Zug die Sonne einen Regenbogen in den Himmel malte.

Die Stimmung am Zug war gelöst und ganz bald auch die Bremsen. Unser Zug stand im Betriebsbahnhof Langenfelde, in dem er auch zusammengestellt wurde. Abfahrt für Fahrgäste war und ist auch künftig in Hamburg-Altona, wo auch die Fahrzeuge auf die Autotransportwagen geladen wurden.
Die Rampe zur Verladung ist – betrachten wir die Fahrtrichtung gen Lörrach – am Zugschluss. Hamburg-Altona ist ein Kopfbahnhof und ein Lokumlauf ist aus verschiedensten Gründen nicht möglich. Daher wird der Zug „rückwärts“ aus Langenfelde nach Altona geschoben, um dann vorwärts, mit Lok voraus, gen Lörrach losfahren zu können.

Das Problem ist, dass zwischen den Bahnhöfen Langenfelde und Altona ein Teil freie Strecke liegt, auf der nicht einfach rangiert und ein Zug mit Lok hinten durch die Gegend geschoben werden darf. Formell sind wir hier also als Zugfahrt und nicht als Rangierfahrt unterwegs – genauer gesagt als „geschobene Zugfahrt“. Dabei steht eine Rangierbegleiterin oder ein Rangierbegleiter an der Zugspitze, an der auch extra dafür ein Spitzensignal angebracht wird.
Die Person an der Zugspitze steht dann über ein spezielles GSM-R Telefon in Kontakt mit dem Personal, das die Lok steuert, und gibt alle relevanten Infos über Signale und Strecke durch. Zudem ist an der nun führenden Zugspitze eine Einrichtung angebracht, die es möglich macht, den Zug auch von der Zugspitze aus im Notfall sofort anzuhalten. (Für Experten: der Luftbremskopf)
Dieses Verfahren bereits als Zs-Azubi mal mitzumachen, war wirklich super interessant und lehrreich – wenn auch äußerst ungemütlich, bei zehn Grad und Regen während der Fahrt auf einem offenen Wagen.
In Hamburg-Altona angekommen, wurde unser Zug dann mit viel Feingefühl durch das Lokpersonal an die Rampe gedrückt. Damit ist der Startschuss gefallen, für viel buntes, aber koordiniertes Gewusel.
Nach Abschalten der Fahrleitung begann das Ladepersonal mit der Verladung der Autos, das Catering-Team versorgte die Wagen mit Verpflegung, das Zugbegleitpersonal kümmerte sich um die Fahrgäste und den Checkin selbiger, während der Zugführer in Absprache mit dem Lokpersonal und der Lademeisterin den Bremszettel erstellte.

Meine Kollegin Sarah und ich nutzten derweil die Zeit und machten ein paar Fotos von uns. Unsere Kollegin Sabrina war so nett und schoss ein äußerst heroisches Foto von uns vorm Zug … und ein paar Fotos, auf denen wir absichtlich so agierten, wie wir es explizit nicht sollen, um Marc – unseren Ausbilder – zu ärgern. Na, wer erkennt, was falsch ist?



Der Zug hatte und hat auch in Zukunft über zwei Stunden Standzeit am Bahnsteig in Altona, entsprechend ging alles einigermaßen entspannt vonstatten. Die Fahrgäste nahmen ihre Plätze ein, während Sarah und ich in aller Ruhe ein paar Übungen erledigten, die uns durch unseren Ausbilder Marc aufgetragen worden. Dabei erhielten wir bereitwillig und motiviert Unterstützung von unseren erfahrenen Kolleginnen und Kollegen auf dem Zug und auf der Lok, die uns alle Fragen umgehend und ausführlich beantworteten. So macht das echt Spaß!
Ein Blickfang am Bahnsteig
Es war spannend zu beobachten, wie viel Aufmerksamkeit so ein Autoreisezug auf sich zieht. Am Bahnsteig habe ich einige Passanten beobachtet, die sich den Zug ganz genau angesehen haben – junge Menschen, die gerätselt haben, warum dieser Zug jetzt Autos Huchepackt oder Trainspotter, die den Zug begeistert fotografierten. Mit einer kleinen Gruppe kam ich ins Gespräch. Ich zeigte ihnen im Anschluss unseren Zug. Es waren zwei Elternteile mit ihren zwei jugendlichen Kindern. Während die Eltern von ihren Mitropa-Reisen im Nachtzug in die Tschechoslowakei erzählten, schmiedeten die Jugendlichen Pläne, mit unserem Nachtzug mal nach Stockholm zu reisen, und die Reise für Social Media zu dokumentieren. Die Begeisterung stand allen ins Gesicht geschrieben …

Im Nachtzug zu reisen ist eben ein völlig anderes Gefühl, als S-Bahn zu fahren oder gar zu fliegen. Der Reiz, Abends in den Zug zu steigen und im Schlaf an ferne Ziele zu gelangen, ist groß. Es hat schon etwas romantisches, in den alten, aber gepflegten Wagen, schaukelnd quer durch Europa zu reisen.


Nachtzug fahren ist ein bisschen, wie eine Zeitreise. Am Bahnsteig steht Zugpersonal in Uniform und mit Mütze. Menschen laden Kisten mit Verpflegung in die Waggons. Irgendwo läuft ein Zugchef mit einem Klemmbrett und einem Haufen Zettel entlang und gibt sie dem Lokpersonal. Und ganz am Ende, wenn das Signal auf Fahrt springt, kurz bevor sich der Zug langsam und über Gleise und Weichen rumpelnd in Bewegung setzt, pfeift jemand und hebt die grüne Kelle.
Es ist wahrscheinlich in etwa so, wie man sich das als Kind vorgestellt hat, wenn Oma und Opa davon erzählt haben, wie Eisenbahn fahren früher war. And I think that’s beautiful.
